Vereinigte Staaten von Europa jetzt

für ein demokratisches, föderales, vereingtes Europa

08.07.2019

Die (zweite) gesamteuropäische (friedliche) Revolution: Die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa


In Deutschland, in Europa, ja auf der ganzen Welt rauchen die Köpfe (und nicht die Kanonen), wie fast immer wegen dem Kampf um den Platz an den Trögen.  Der Kampf geht um die Konzepte und Vorstellungen über Offenheit oder Geschlossenheit der Bürgergesellschaften vieler Staaten. In Europa erleben wir das Schauspiel um die Wahl von europäischen Spitzenpositionen unter anderem nach nationalem Proporz, um den Kampf in Großbritannien um ein europäisches Großbritannien oder ein abgeschottetes. Wir erleben den Kampf in Ungarn, Polen und anderen europäischen Staaten. Die Parolen sind "Ungarn den Ungarn!", "Polen den Polen!" usw.. Auch die Benutzung der Wörter "Kultur" und "Nation" wird wieder mehr und mehr von einigen Politikern und Bürgern nicht mehr ohne das nationale Adjektiv benutzt. Auch hier in Deutschland gibt es wieder mehr und mehr Menschen die von "deutscher" Kultur und "deutscher" Nation sprechen.


Die Europäische Union (EU) befindet sich in dieser Gemengelage und noch zusätzlich in der Lage, dass sie sich um ihren weiteren Weg als Union klar werden muss. Die Frage lautet:  soll der Einfluss der nationalen Institutionen wieder stärker werden oder soll er zugunsten einer weiteren Integration beschnitten werden? Es muss allen klar sein, die ein Mehr an Union haben wollen, dass dies gleichzeitig ein Weniger an Nationalem bedeutet. Es bedeutet auch, dass je mehr wieder auf nationaler Ebene entschieden werden soll, desto weniger bleibt auf der transnationalen Ebene zu entscheiden übrig.


Nun hat sich Heinrich August Winkler, zuletzt Professor für Neueste Geschichte an der HU Berlin, Autor der umfänglichen, sehr lehrreichen "Geschichte des Westens" (CH. Beck Verlag 2015) und fulminanter Redner der Gedenkrede zum 70. Jahrestagsende des 2. Weltkrieges im Deutschen Bundestag, in "Die Zeit" Nr. 26/2019 vom 19. Juni 2019 zu Wort gemeldet. In seinem Artikel mit dem Titel "Schluss mit dem Träumen. Europa lässt sich nicht gegen die Nationen vereinigen, sondern nur mit ihnen", setzt er sich mit den europäischen Fragen auseinander. Den von ihm so genannten Realisten stellt er Populisten und Träumer gegenüber.  Diese Gruppierung der Antagonisten in drei charakteristische Srömungen ist grundsätzlich nichts neues, sie ist auch durchaus einsichtig. Der geneigte und interessierte Leser dieser Zeilen findet im blog weitere Beiträge, die sich schon mit weiteren so genannten realistischen Vorstellungen über Europas Zukunft  befasst haben.


"Ohne die Beibehaltung der nationalen, gewachsenen Staaten lässt sich Europa nicht weiterentwickeln",  das ist zusammengefasst die Kernaussage in dem Zeit-Artikel. 


Winkler führt aus, dass alle in der europäischen Union verbundenen nationalen Staaten als Nationen im europäischen Parlament vertreten sein wollen. Das hebele zwar das Prinzip "one man one vote" aus, da ein kleines Land im Verhältnis zu einem großen Land viel weniger Stimmen braucht für einen nationalen Vertreter im europäischen Parlament. Im Falle, dass alle Stimmen in allen europäischen Teilstaaten gleichgewichtig sein müssen, wäre das europäische Parlament ein Mammutparlament und damit nicht arbeitsfähig. Diese undemokratische Tatsche ist dem nationalen Proporzdenken geschuldet. 


Solche Defizite lassen sich nach Winkler heilen. Da die nationalen Parlamente demokratisch einwandfrei gewählt werden, kann ihre Kompetenz in Sachen Europa im Verhältnis zum europäischen Parlament neu austariert und die Zuständigkeit des europäischen Parlamentes für transnationale Angelegenheiten ausgeweitet werden. Winkler, der sich selber zu den europäischen Realisten zählt, plädiert für einen reformatorischen Weg bei der weiteren europäischen Integration. Selbst wenn einmal eines fernen Tages die Vereinigten Staaten von Europa reale Gestalt annehmen sollten, dann nicht als föderaler Bundesstaat á la Vereinigte Staaten von Amerika sondern als Staatenbund neueren Charakters. Eben mit sehr starken und weitgehend autonomen nationalen europäischen Staaten, weil, das wiederholt er immer wieder, die Bedeutung des Nationalen im europäischen Konzert so groß sei. Die europäischen Träumer, die von einem europäischen Bundesstaat träumten, laufen deswegen gegen diese Wand an und holen sich dabei eine blutige Nase. Ihre Träume bleiben  eine romantische Träumerei am Kamin.


Die Argumentation Winklers (und anderer ähnlich argumentierender Autoren und Politiker) erinnert an die Denkweise der Väter und Urgroßväter, die sagen, es ist so und war immer so und wird immer so bleiben. Natürlich ist die Argumentation Winklers nicht so simpel, sie ist schon ziselierter und filigraner. Winkler argumentiert durchaus an Tatsachen entlang. Die veröffentlichten Meinungen, das sind in der Regel die Äußerungen der Politiker und vieler Meinungsmacher, argumentieren und reden vielfach so.


Die legitimen Fragen an solchen Positionen sind folgende: Was ist denn damit eigentlich gemeint, wenn man von deutscher Kultur und deutscher Nation redet, von französischer Kultur und Nation oder von englischer Kultur und Nation spricht?  Woher will man, ohne zu fragen wissen, was eine Mehrheit von Bürgern  will? Gibt es in der Geschichte Beispiele für die Entstehung von Staaten, die gegebenenfalls aus mehreren nationalen Ethnien entstanden sind? Kann man aus den vergangenen und gegenwärtigen Einstellungen von Menschen schließen, wie sie sich in Zukunft verhalten werden, wie die Geschichte mit ihnen und durch sie weitergeht? Was ist die Rolle der gemeinsamen Sprache für eine Nation?


Den Versuch, diese Fragen abzuarbeiten, beginnen wir mit einer (realistischen) Beschreibung des europäischen und internationalen Orchesterlebens. Gleichsam als Einstimmung in die Bedeutung des nationalen in der modernen Welt.  Wie wird dort, bei den großen Orchestern, die Aufgabe gelöst, beispielsweise eine beethovensche Symphonie aufzuführen? Der Orchestervorstand und der Dirigent kommen zusammen und überlegen, was in der Partitur der Komponist vorsieht, wie wollen wir sie interpretieren, welche Instrumentalgruppen sind besonders gefragt usw.. Solche Aufgaben sind schon tausendfach erledigt worden, und zwar zum größten Teil zur größten Freude des Publikums. Was ganz schnell ins Auge fällt, die größten Orchester der Welt, die Wiener Symphoniker, die Berliner Symphoniker, das Boston Symphony Orchester, das Lucerne Festival Orchester, das Operá Garnier Orchestre in Paris und die anderen großen Orchester rekrutieren ihre Instrumentalisten aus aller Welt. Ja wo kämen sie hin wo sie sind, wenn der Hornist oder die Hornistin unbedingt aus Ungarn kommen müsste, der 1. oder 2. Geiger nur aus Spanien kommen dürfte usw.. Entscheidend für die Orchester ist nur, wie gut spielt er oder sie, wie gut passt er oder sie in das Orchester. Ist der Gesamtklang passend für den interpretatorischen Anspruch des Orchesters und des Dirigenten. Es gibt auf der Welt nichts Internationaleres als die großen Orchester mit ihren großartigen Konzerten. Ach ja, wissenschaftliche Institute und Universitäten tun das auch und sind ebenfalls Spitzenleister. Gerade weil sie international sind und damit aus dem vollen Reservoir an besten Musikern oder Wissenschaftlern  schöpfen können.


Was verstehen wir heute unter nationaler Kultur und nationaler Mentalität?


Wenn heutzutage von "nationalen" Mentalitäten und "national-bedingten" Kulturen gesprochen wird, was wird dann damit eigentlich genau gemeint? Anders gefragt: Gibt es überhaupt eine deutsche oder englische oder spanische Kultur oder Mentalität. Oder meint man damit eigentlich nicht die bayrische Mentalität, die katalanische Mentalität, die bretonische Mentalität udgl.. Wenn man sich mit einem Ausländer über dieses Thema unterhält und nachfragt, dann stellt sich oft heraus, der aus Amerika kommende Tourist, dem man in München begegnet, der versteht unter deutscher Kultur eigentlich bayrische Kultur. Dies erfährt man oft auch, wenn man im Ausland mit dort inländischen Menschen spricht. Sie sagen dann oft, wir Texaner denken anders als die hippen Westküstler oder die hippen Ostküstler. Nationale Mentalität gibt es in diesem Sinne nicht, denn es gibt in diesem Sinne nicht den typischen Amerikaner oder den typischen Deutschen oder den typischen Franzosen. Es gibt eher einen Typ, der mit anderen Typen aus der gleichen Region eine gemeinsame Mentalität teilt.


Ist eine gleiche Sprache sprechen genügend, um von einer Nation zu reden?


Für eine mögliche Gründung der Vereinigten Staaten von Europa ist nicht erforderlich, eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Die Konzeption einer Nation basiert wie ihr Name ausdrückt, auf der geburtlichen Abstammung eines Menschen und damit auf dem Gedanken der muttersprachlichen Abstammung. Für uns heutige Menschen ist die Bedeutung der Muttersprache nicht mehr so gewichtig wie in früheren Zeiten, als die Menschen noch wenig oder gar keine Schulbildung besaßen. Heute gibt es selbst in Hauptschulen Englisch-Unterricht. Die fremdsprachlichen Kenntnisse der Menschen erweitern sich, immer mehr fremdsprachige Menschen siedeln sich in geburtsfremden Umgebungen an. Die Bedeutung der Muttersprachen nimmt ab, der Mensch von heute wird polyglotter. Zugereiste Menschen lernen die neue "Mehrheitssprache vor Ort" und werden eingebürgert. Die Muttersprache wird zu einer bloßen Mehrheitssprache und verliert damit ihre dominierende Bedeutung. Der Neubürger adaptiert auch im Laufe der Zeit die regionale Mentalität im obigen Sinne. Man kann sagen, die ursprünglich große Bedeutung der gemeinsamen Sprache relativiert sich mehr und mehr. 


Kann die Staatsbildung des Deutschen Reiches, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Schweiz, im 18. und 19. Jahrhundert ein Beispiel für die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa sein?                                                                                                                                          


Es gab vor der Gründung des deutschen Reiches im 19. Jahrhundert die deutschen Kleinstaaten. Was war das für ein Kampf bis zur Gründung, bis zur Vereinigung zum Deutschen Reich. Nun kann man argumentieren, dass die Kleinstaaten zumindest alle der sogenannten deutschen Kultur und aus der deutschen Nation, letztlich aus dem Römischen Reich deutscher Nation, hervorgegangen waren, also einer Sprachfamilie angehörten. 

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind eher ein Beispiel für die Bildung des Gesamtstaates trotz sprachlicher und kultureller Unterschiede der Neubürger Amerikas. Die ersten Siedler bzw. Gründer der Vereinigten Staaten von Amerika kamen aus unterschiedlichen religiösen Kulturen und Sprachräumen. Dominierend war zwar das englische, aber auch aus anderen europäischen Sprachfamilien kamen die Gründerväter. Sie haben sich zusammengerauft und ihren gemeinsamen Staat gegründet, in dem Willen, sich von den Königen und Fürsten der alten Welt zu emanzipieren. Sie waren Freigeister und pietistische, konservative Christen aus vielen christlichen Strömungen. Der Wille, ein Leben in Freiheit und selbstbestimmter Lebensgestaltung zu leben einte sie, so dass eine Staatsgründung möglich wurde.


Die Schweiz ist ein Beispiel für eine Staatsgründung, die nicht auf nationalen, sprich muttersprachlich gleichen Sprachen sprechend basiert, sondern auf dem gemeinsamen Willen der Schweizer Bürger.


Besonders bei den Amerikanern und Schweizern fällt auf, dass der Wille, einen neuen unabhängigen Staat zu gründen, die Basis der Staatsgründung war und nicht der Gedanke der gemeinsamen Sprache bzw. gemeinsamer nationaler Abstammungen. 


Ist Winklers Konzept einer zukünftig möglichen Entwicklung der Europäischen Union zu einem Staatenbund in der Lage, die zunehmend transnationalen Probleme zu lösen?


Winkler schreibt, dass die arbeitsteilige Aufgaben- und Entscheidungsteilung von nationalen und übernationalen Aufgaben weiterentwickelt werden sollte. Das Zusammenspiel von nationalen Parlamenten und dem europäischen Parlament sollte austarierend weiterentwickelt werden.. Damit wäre dann den starken, national geprägten europäischen Mentalitäten Genüge getan.


Zwei grundsätzliche Fragen ergeben sich allerdings beim Studium der Auffassung des Autors Winkler. Die nach der zukünftigen Entwicklung, ob sich auf Grund der hier geschilderten Tatsachen aussagen lässt, wie sich Europa weiterentwickeln wird und ob mit der mehr national ausgerichteten Aufgabenteilung die bestehenden Probleme bewältigt werden können. Hieran haben wir Europäer doch mittlerweile große Zweifel, zumindest fehlt vielen von uns der Glaube daran, dass 28 nationale Parlamente plus einem europäischen Parlament und 28 nationale Regierungen und eine europäische Kommission und ein europäischer Rat Europas Probleme im 21. Jahrhundert adäquat lösen können.


Bei immer mehr jüngeren Menschen hat man heutzutage den Eindruck, dass sie mit Begriffen wie deutscher Kultur, deutscher Nation, französischer Kultur, französischer Nation usw. nicht mehr "so viel am Hut haben" wie noch Generationen vor ihnen. Die Schüler und Schülerinnen, die freitags bei den Demonstrationen für mehr und konsequenteren Umweltschutz mitlaufen, spielt die Nationalität auch keine Rolle. Sie haben realisiert, dass das Klima transnational ist.


Das gilt zunehmend für mehr und mehr Probleme in Europa und der ganzen Welt. Die Probleme wie Krieg, Flucht, Klima, gerechte Besteuerung transnationaler Konzerne usw. warten auf transnationale Problem-Lösungen. Die jungen Leute und nicht nur sie sehen dies mehr und mehr. Kann man solche Menschen Träumer nennen? Sie sind doch die Realisten par excellence. Und unser Europa braucht sie, braucht die optimistische Jugend mit ihrem veränderungswilligem Elan.


Wenn diese jungen, realistischen Menschen auch für ein Vereinigtes Europa, für die Vereinigten Staaten von Europa auf die Straßen gehen, dann sind die Vereinigten Staaten von Europa als föderaler Bundesstaat, mit starken europäischen Regionalregierungen und -parlamenten und einem Bundesstaat in kürzerer Zeit realisierbar als mancher Zweifler oder Pessimist denkt.


In einem derartigen föderalen Bundesstaat gibt es dann weiterhin ein starkes europäisches Bayern mit einer starken bayrisch-europäischen Regionalregierung, ein starkes katalonisch-europäisches Regionalparlament und einer starken katalonischen Regionalregierung, usw. usw.. Ob dann beispielsweise in München eine neue Brücke über die Isar gebaut wird, entscheiden die Münchner. Na ja, föderale Fördermittel können (ggf.) in der Bundeshauptstadt angefordert werden. Aber es gibt kein deutsches Parlament und keine deutsche Regierung mehr, es gibt kein spanisches Parlament und keine spanische Regierung mehr. Den in Europa starken und vielgelobten Relgionen wird damit Genüge getan.


Die Vereinigten Staaten von Europa gliedern sich in europäische Regionen (als den Teilstaaten) mit allen notwendigen Aufgaben und Mitteln der Selbstverwaltung und in den Bundesstaat mit seinen notwendigen Aufgaben und Mitteln und demokratischen Institutionen. Zwischen den Regionalregierungen und der bundesstaatlichen Regierung gibt es keine nationale Regierung und kein nationles Parlament mehr. Der amerikanische Außenminister hat nur noch eine Telefonnummer, um seinen europäischen Kollegen anzurufen. Die Gesetzes- bzw. Aufgabenverteilung eines solchen Bundesstaates spiegelt eine föderale Ordnung wieder. Der Bund bzw. die Bundesregierung und das Bundesparlament erhalten die Kompetenz bzw. verfassungsgemäße Aufgabe, die vielen und zunehmend transnationalen Herausforderungen entscheiden zu können und die Regionen mit den notwendigen Mitteln zur Ausübung ihrer regionalen Aufgaben zu 

unterstützen.


Fazit


Heinrich August Winkler hat in seinem Werk "Geschichte des Westens" geschrieben, dass die Revolutionen von 1848/49 gesamteuropäisch gewesen seien, Europa tief verändert hätten und zugleich die ersten und letzten gesamteuropäischen Revolutionen gewesen seien (Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens, Beck-Verlag München 2015). Angesichts der vielen transnationalen Probleme weltweit und europaweit warten wir alle auf eine angemessene und  gesamteuropäische Lösung dieser Probleme und sei es durch eine friedvolle gesamteuropäische zweite Revolution für ein vereinigtes Europa. Und mit den Vereinigten Staaten von Europa wäre obendrein dem ur-demokratischen Prinzip one man one vote auch und endlich Genüge getan. Ach ja, und den Populisten, den Antagonisten der sogenannten Realisten und der sogenannten Träumer, wäre der Boden für ihr nationalistisch geprägtes Sinnen ein für allemal entzogen.